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Bärenfallen und Wendepunkte: Was uns die Geschichte lehrt

Die Geschichte ist unfreundlich zu denen, die Bewegung mit Fortschritt verwechseln. Der heftige Aktienrückgang im April, gefolgt von einer ebenso heftigen Erholung Anfang Mai, hat die Anleger zwischen Erleichterung und Misstrauen hin- und hergerissen. Aber die Marktteilnehmer haben das schon einmal erlebt. Von der Weltwirtschaftskrise bis zur globalen Finanzkrise haben die Aktienmärkte die Angewohnheit, die Anleger mit kräftigen Erholungen zurückzulocken, bevor sie auf neue Tiefststände abstürzen. Doch nicht alle Erholungen sind Illusionen. In den Jahren 1982, 2009 und 2020 erwiesen sich frühe Erholungen als vorausschauend, da sie geldpolitische oder fiskalische Veränderungen vorwegnahmen, die das Wachstum wieder ankurbelten.

Bärenmärkte folgen oft einer dreistufigen Struktur. Zuerst kommt der Schock, ein Katalysator, der die Selbstzufriedenheit zerstört. Dann folgt ein steiler Aufschwung, wenn der Optimismus vorzeitig zurückkehrt. Schliesslich folgt eine eher zermürbende Phase, in der sich die Fundamentaldaten wieder durchsetzen. Anleger, die die zweite mit der dritten Phase verwechseln, zahlen oft einen hohen Preis. Im Jahr 2007, als Risse in den Subprime-Hypotheken auftauchten, stürzte der Markt ab, um sich dann zu erholen und einen neuen Höchststand zu erreichen, bevor er in die Finanzkrise stürzte. Diejenigen, die dieser Rallye hinterherliefen, warteten sechs Jahre, bis sie die Gewinnzone erreichten. Solche Erholungen sind keine Anomalien, sondern charakteristische Merkmale von Bärenmärkten. Im Durchschnitt bringen frühe Erholungen an Bärenmärkten Gewinne von etwa 9 %, während der gesamte Zyklus in der Regel 14 Monate dauert und einen durchschnittlichen Rückgang von 34 % aufweist. Doch hinter den Durchschnittswerten verbirgt sich eine Streuung, und nun gilt es zu entscheiden: Stehen wir vor einer klassischen Bärenfalle oder vor dem Beginn von etwas Dauerhafterem?

Die Form des aktuellen Bären

Um zu beurteilen, wo wir stehen, ist es sinnvoll, die Bärenmärkte in drei Typen zu unterteilen: strukturelle, zyklische und ereignisbedingte. Strukturelle Baissen, wie die nach Vermögensblasen oder Bankenkrisen, sind in der Regel lang und tief. Zyklische Bären fallen mit wirtschaftlichen Abschwüngen und Ertragseinbussen zusammen. Ereignisbedingte Bären, die durch geopolitische Schocks, politische Fehlentscheidungen oder Pandemien ausgelöst werden, können sich schnell erholen, wenn der Wirtschaftsmotor intakt bleibt.

Die jüngsten Turbulenzen begannen als ereignisgesteuerter Schock, ausgelöst durch plötzliche Zollerhöhungen und Befürchtungen einer Entkopplung zwischen den USA und China. Doch was als externer Schock begann, droht sich nun zu einer grundlegenderen Verlangsamung zu entwickeln. Das Gesamtwachstum ist nach wie vor positiv, und die finanziellen Bedingungen haben sich entspannt, aber es gibt Warnzeichen.

Wirtschaftsdaten: Ein gemischtes Bild

Die Beschäftigungsdaten tragen zu dieser Unklarheit bei. Die Arbeitslosenquote liegt nach wie vor in der Nähe historischer Tiefststände, doch die Zahl der Anträge auf Arbeitslosenunterstützung steigt seit Monaten an. Die von den Unternehmen angekündigten Entlassungen liegen deutlich über dem Vorjahresniveau, was auf eine mögliche Schwäche des Arbeitsmarktes hindeutet, die in den offiziellen Stellenmeldungen noch nicht sichtbar ist. Gleichzeitig befindet sich die Verbraucherstimmung in der Nähe von Mehrjahrestiefs, was darauf hindeutet, dass die psychologischen Narben durch die Zollerhöhungen und die politische Volatilität möglicherweise tiefer sind, als die Ausgabendaten vermuten lassen.

Laut unserer Global Macro Roadmap befindet sich die Wirtschaft derzeit in einer Übergangsphase: nicht in einer Rezession, aber weit davon entfernt, gesund zu sein. Historisch gesehen hat dieses "Niemandsland" die schwächste Aktienmarktperformance hervorgebracht, wobei der S&P 500 über einen Zeitraum von sechs Monaten im Durchschnitt nur eine Rendite von 3,9 % erzielte. Die Umfragen im verarbeitenden Gewerbe unterstreichen die Vorsicht. Der ISM-Index ist wieder in den Bereich der Schrumpfung gerutscht, und die S&P Global-Version hat nach unten gedreht. Das Muster erinnert an die Marktspitzen in den Jahren 2011, 2015 und 2018, als der Optimismus mit der nachlassenden Dynamik der Industrie schwand.

Diese Kombination von Daten deutet darauf hin, dass die jüngste Aktienrallye weniger mit erneutem Wachstumsoptimismus als vielmehr mit Erleichterung zu tun haben könnte. Die 90-tägige Zollbefreiung zwischen den USA und China hat die Märkte veranlasst, die unmittelbarsten Abwärtsrisiken auszupreisen. Die durchschnittlichen effektiven Zollsätze sind gesunken, und die vorausschauenden Handelserwartungen haben sich verbessert. Dies ist jedoch noch keine Lösung, sondern nur eine Verschnaufpause. Es wurde keine verbindliche Einigung erzielt, und der Schaden, der dem Vertrauen der Unternehmen und der Investitionsplanung zugefügt wurde, kann sich erst nach Quartalen abbauen, während sich die wirtschaftlichen Auswirkungen früherer Zollerhöhungen mit Verzögerung in den Lieferketten, bei den Inputkosten und im Preisverhalten bemerkbar machen werden.

Vor diesem Hintergrund ist die Geldpolitik nach wie vor restriktiv. Die Inflation in den USA hat sich auf 2,3 % abgekühlt, aber die Kerninflation bei den Dienstleistungen bleibt hartnäckig. Zu Beginn des Jahres hatten die Märkte drei Zinssenkungen eingepreist, jetzt sind die Erwartungen auf eine oder zwei zurückgeschraubt worden. Der Ton der Fed ist vorsichtiger geworden, da sie mit einem empfindlichen Gleichgewicht zwischen robusten harten Daten und schwächer werdenden weichen Indikatoren konfrontiert ist.

Eine Rallye auf wackeligem Grund

Die derzeitige Rallye entspricht dem Profil eines klassischen Bärenmarktes. Sie war heftig, stimmungsgetrieben und eng konzentriert. Die Breite ist dünn, wobei die Gewinne von einigen wenigen Sektoren mit hohem Beta angeführt werden. Nicht die Fundamentaldaten, sondern technische Strömungen und die Auflösung von Positionen haben den grössten Teil des Aufschwungs bewirkt. Da die Gewinnprognosen unverändert bleiben, ist der Spielraum für weitere Kurssteigerungen begrenzt, es sei denn, die Daten verbessern sich spürbar oder die Politik wird unterstützend,

Zum Vergleich: Ein bescheidener Gewinnrückgang von 5 % würde einen fairen Wert des S&P 500 von fast 4'850 bedeuten, was etwa 20 % unter dem aktuellen Niveau liegt, wenn man historische KGV-Normen zugrunde legt. Das ist keine Prognose, aber es zeigt, wie wenig Puffer vorhanden ist, wenn sich die makroökonomischen Bedingungen verschlechtern. Wir befinden uns jedoch nicht im Jahr 2001 oder 2008. Es gibt keine Kreditkrise und keine Blase, die zusammenbricht. Wenn sich die Inflation weiter abschwächt und die Handelsspannungen nachlassen, könnten die Märkte weiter steigen, allerdings aufgrund der Stimmung und nicht aufgrund der Substanz.

Das Risiko der Stagnation

Die Gefahr besteht jetzt nicht unbedingt in einem weiteren Zusammenbruch, sondern in etwas Subtilerem: Stagnation. Eine stagnierende Wirtschaft, gepaart mit hohen Bewertungen, führt zu einem schlechten Risiko-Ertrags-Profil: begrenztes Aufwärtspotenzial, erhöhtes Abwärtspotenzial. In der Vergangenheit hat dies zu volatilen, seitwärts tendierenden Märkten geführt, die von scharfen Korrekturen unterbrochen wurden. Das Vertrauen kann allmählich schwinden, und die Anleger bleiben oft zu lange. Nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst, den nächsten Aufwärtstrend zu verpassen.

Natürlich ist ein konstruktiveres Ergebnis weiterhin möglich. Ein dauerhaftes Handelsabkommen, eine sinkende Inflation und klarere Vorgaben der Fed könnten eine nachhaltige Erholung auslösen. Die Geschichte erinnert uns daran, dass sich die Märkte oft erholen, bevor die Daten sich drehen, aber nur, wenn der Weg nach vorn glaubwürdig ist. Im Moment müssen die Anleger entscheiden: Ist dies einer der seltenen Momente, in denen die Hoffnung die Geschichte anführt, oder nur ein weiteres Echo davon?